Das arabische Wort Islam läßt sich mit "Hingabe, Ergebenheit" wiedergeben. Die davon abgeleitete Form Salam bedeutet "Frieden". Dementsprechend ist Muslim derjenige, der sich dem Willen der einen Wirklichkeit, nämlich Allah (Gott), mit ganzem Herzen hingibt und dabei inneren wie äußeren Frieden findet.
1.1. Einheit
Das Haupt anliegen des Islam ist das Bekennen der Einheit Gottes (arabisch : tawhid). Der zentrale Grundsatz lautet : Keine Gottheit außer Gott, was bedeutet, dass nichts auf eine Stufe mit Gott gestellt werden kann und Er allein das absolute, von allem unabhängige Sein ist, während alles, was existiert, von Ihm abhängt. Er ist die absolute Realität, die alles sichtbare und Unsichtbare, Lebendige und Leblose aus dem Nichts erschafft und erhält. Wenngleich die gesamte Schöpfung Seine Weisheit bezeugt, steht Er doch über allen sinnlichen Wahrnehmungen und rationalen Konzepten : Gott ist außerhalb aller Geschöpflichkeit, jedoch nicht von ihr getrennt. Er ist dem Menschen näher als dessen eigene Halsschlagader (vgl. Sure 50, Vers16 ). {und doch kein Teil von ihm}{Er besteht nicht aus Komponenten, in die Er sich auseinander dividieren lassen würde}. Durch innere Läuterung und unablässige Bejahung dieser einen Wirklichkeit überwindet der Gläubige den scheinbaren Widerspruch zwischen unerreichbarer Transzendenz und göttlicher Allgegenwart, so dass er schließlich in allem nur noch den Einen bezeugt.
1.2.Propheten
Der zweite Teil des islamischen Bekenntnisses, dass "Muhammad der Gesandte Gottes" ist, hat nicht die ausschließliche Bedeutung, die ihm oft beigemessen wird. Die Anerkennung der prophetischen Sendung ist keineswegs auf Muhammad (friede sei mit ihm ) beschränkt. Der Qur'an lehrt, dass sich Gott seit Anbeginn der Menschheit immer wieder den verschiedenen Völkern offenbart hat. Dazu erwählte Er besonders edle Menschen als Träger der Offenbarung und Verkünder Seines Gesetzes. Die Propheten und Gesandten Gottes sind jedoch ohne Ausnahme Menschen und keine Übermenschen oder gar Götter : Abraham, Noah, Moses, Jesus und zahlreiche andere Propheten (Friede sei mit ihnen allen) schöpften aus der selben Quelle der Offenbarung, um den Menschen jene Daseinzusammenhänge klarzulegen. Die durch wissenschaftliche Erkenntnis nicht vermittelt werden können. Die Muslime glauben an alle Gesandten Gottes und machen "keinen Unterschied zwischen ihnen" (vgl. Sure 2, Vers 285). Muhammad (Friede sei mit ihm) ist der letzte, der ihre Reihe abschließt und ihre Botschaften bestätigt.
1.3. Jenseits
Die Existenz des Menschen endet nicht mit seinem körperlichen Ableben. Der Tod ist ein natürliche Übergang in ein jenseitiges Dasein. Diesseits und Jenseits stehen in unmittelbarer Verbindung : das Diesseits ist der Acker und das Jenseits die Ernte der Handlungen des Menschen. Nach einem geistigen Zwischenstadium werden ihm seine Taten gemäß ihren Absichten am "Tag des Gerichts" vorgeführt. Niemandem wird dabei auch nur das geringste Unrecht geschehen (vgl. Sure 57, Vers 20) und das Jenseits höher und von ewigem Charakter ist (vgl. Sure 87, Vers 16 ).
1.4.Mensch
Gott hat die Schöpfung nicht hervorgebracht, um Nutzen daraus zu ziehen, sondern Er schenkt Seinen Geschöpfen durch ihr dasein die Möglichkeit zur eigenen Entwicklung. Der Mensch gilt im Qur'an als "Stellvertreter Gottes" auf Erden. Ihm hat Gott von seinem Geist eingehaucht. Der Mensch ist somit Träger des göttlichen Vertrauenspfandes und dank seiner Willensfreiheit gegenüber sich und der gesamten Schöpfung verantwortlich. Jeder Mensch hat eine "göttliche Anlage" und einen Hang zum Guten wie auch zum Bösen. Seine guten Neigungen führen ihn zu geistig-seelischer Reife; gerät er aber unter die Herrschaft seiner niederen Triebe, dann handelt er gegen die göttliche Ordnung und seine eigene Entwicklung. Alle Menschen, ob Mann oder Frau, Schwarz oder Weiß, arm oder reich haben den selben Stellenwert vor Gott und dem Gesetz. Das Einzige, was sie unterscheidet, ist der Grad ihrer Gottesfurcht und ihre Nähe zum Schöpfer (vgl. Sure 49, Vers 13).
1.5. Qur'an
Der Qur'an, der dem Propheten Muhammad (Friede sei mit ihm) im Laufe von 23 Jahren offenbart wurde, ist Warnung und " Rechtleitung für die Menschen" (vgl. Sure 2, Vers 185 ). Er bestätigt und vollendet alle früheren Heilsbotschaften. Sein Stil ist unerreicht, sein Inhalt seit dem Jahre 632 bis zum heutigen Tag unverfälscht überliefert worden. Er ist Gotteslehre, Moralkodex und Gesetz in einem. Wo er keine konkreten Aussagen macht, wird er von der "Sunna", dem vorgelebten Beispiel des Propheten, ergänzt.
1.6.Glaubenspraxis
1.6.1. Gebet
Dem fünfmal am Tag zu verrichtenden Gebet (arabisch salah), das man allein wie auch in der Gemeinschaft verrichten kann, geht eine Waschung voraus. Das rituelle Gebet besteht aus der Rezitation einzelner Teile des Qurans, begleitet von Körperhaltungen wie aufrechte Stellung (Qiam), Verbeugung (Rekuu) und Niederwerfung (Sejuud), die das Glaubensmoment der dienenden Hingabe verkörpern. Das Gebet ist dem Gläubigen kein sinnentleerter Ritus, sondern Konzentration und tiefes inneres Bedürfnis. Der Sinn des Gebetes wird vor allem in seiner Schutzfunktion gegen üble Gedanken und Handlungen gesehen (vgl. Sure 29, Vers 45). Das rituelle Gebet schließt das freie Gebet (Duaa) nicht aus. Besinnung und Gottgedenken stärken den Geist des Betenden; er schöpft Kraft, im täglichen Leben maßhalten zu können und keine Übertretungen zu begehen. Obwohl die Moschee (arabisch Masjid, d.h. Ort der Niederwerfung) der geeignete Ort für die Gebete ist, müssen sie nicht dort verrichtet werden, da laut einer prophetischen Aussage die ganze Erde als ein Gebetsraum gilt.
1.6.2.Sozialabgabe
An über achtzig Stellen erwähnt der Qur'an die Sozialabgabe bzw. Armensteuer (arabisch : Zakat) zusammen mit der Verpflichtung zum Gebet. Die Armen und die Bittenden haben ein Anrecht auf das Vermögen der Gemeinschaft, "damit die Reichtümer nicht nur unter denen umlaufen, die schon reich sind " (vgl. Sure 59, Vers 7). Die Sozialabgabe, die andere Spendenformen nicht ausschließt, wird ausführlich in der islamischen Rechtswissenschaft behandelt.
1.6.3.Fasten
(arabisch : Sawm) im Monat Ramadan, dem neunten Monat im islamischen Mondjahr, vorgeschrieben und an anderen Tagen des Jahres als freiwilliger Verzicht empfohlen, ist eine Übung zur Selbstbeherrschung, Willenskraft und inneren Einkehr. Das Fasten reinigt Körper und Geist. Vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang enthält sich der Fastende u.a. des Essens, Trinkens, übler Worte, Werke und Gedanken. Er sucht seine Zuflucht bei Allah in Gebet und selbstreflexion. Das Fasten stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der muslimischen Gemeinde. Den Wohlhabenden macht das Fasten auf die Situation der Notleidenden aufmerksam und bricht ihren Hochmut und falschen Stolz.
1.6.4.Pilgerfahrt
Bei der alljährlichen Wallfahrt (arabisch : Hajj) versammeln sich Millionen von Muslimen in Mekka und Umgebung. In verschiedenen rituellen Handlungen folgen Sie den Ursprüngen der islamischen Botschaft. Das Umschreiten der von Abraham und Ismail errichteten Kaaba in Mekka, das Verweilen im geschichtsträchtigen Tal von Arafat, die sinnbildliche Steinigung des Satans und das abschließende Opfer verbinden sie in eindrucksvoller Weise mit der abrahimitischen Tradition des reinen Monotheismus. Die Pilgerfahrt gilt als Symbol der muslimischen Einheit. Die Versammlung von Gläubigen aus aller Welt bietet Gelegenheit, einander kennenzulernen, Probleme gemeinsam zu beraten und die Eintracht und Brüderlichkeit zu stärken.
1.6.5. Jihad
Nach dem quranischen Prinzip "nicht zu unterdrücken und sich nicht unterdrücken zu lassen" übernimmt der Mensch Pflichten sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber. Sind die Gemeinschaft und die menschlichen Werte bedroht und alle friedlichen Mittel erschöpft, wir "Jihad", d.h. die Anstrengung auf dem Wege Gottes, zur Pflicht. Unter dem oft fälschlich mit "Heiliger Krieg" wiedergegebenen Begriff wird eine reine Verteidigungsbemühung verstanden; dabei verlangt der Qur'an von seinen Anhängern, auch gegenüber aggressiven Menschen in Gerechtigkeit zu verfahren (vgl. Sure 5, Vers 8). Als "großer Jihad" gilt der Kampf des Menschen gegen sein Ego. Durch die Läuterung des Herzens soll das göttliche Element entwickelt werden, damit der Mensch sich vom Gefängnis seiner Begierden befreien kann.
1.6.6. Gutes gebieten und schlechtes verwehren
Im Islam bilden Individuum und Gesellschaft, Religion und Politik, Gesetz und Moral eine Einheit. Der Muslim - ob man oder Frau - ist gegenüber sich selbst und seiner Gemeinschaft verantwortlich (vgl. Sure 9, Vers 71). Das universale quranische Gebot soll den Glauben und die Gemeinschaft vor schädlichen Einflüssen bewahren und die Menschen durch eine einladende Darbietung mit den Inhalten des Islam vertraut machen.
1.7. Moral
Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Güte gegenüber den Eltern und Verwandten, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Gerechtigkeit gegenüber Freund und Feind sind Eigenschaften, die für jeden Muslim gelten. Aus Ehrfurcht und Liebe zu Gott schöpft der Gläubige Liebe und Achtung seinen Mitmenschen gegenüber. Moralisches Handeln gilt als grundlegende Voraussetzung für die Innerlichung des Glaubens. Treuhänder der überlieferten Glaubenslehren sind die Gelehrten, die vor allem Rechtsgelehrte sind. Der Muslim befolgt die religiösen Gebote aus Überzeugung; für die Vertiefung seines Glaubens ist er allein verantwortlich, und er wendet sich direkt an Gott.
"O ihr Menschen, gedenket der Gnade Gottes gegen euch. Gibt es einen Schöpfer außer Gott, der euch vom Himmel und von der Erde her versorgt?. Es gibt keinen Gott außer Ihm! Wie könnt ihr euch abwendig machen lassen ?." (Sure 35, Vers 3 )
Es ist eine weitverbreitete Vorstellung, das islamische Gottesbild zeige einen grausamen und despotischen Gott, der den Menschen eine Unzahl von Verboten auferlegt habe, aber keine Liebe kenne. Gott sei im Islam nur der strenge Richter, der jeden Verstoß gegen seine Anordnungen bestrafe, und der Mensch sein Sklave, der keine wirkliche Beziehung zu Gott haben könne. Diese Vorstellung allerdings hat nichts mit dem zu tun, was uns der Quran über Gott und Seine Beziehung zur Schöpfung lehrt. Der Islam sagt, dass Gott eben gerade deswegen der gesetzgebender Gott ist, weil er der liebende Gott ist. Denn Gottes Gebote sind kein starres, irrationales Zwangsystem, sondern eine Rechtleitung für den Menschen, deren Sinn und Nutzen durch den Verstand erfaßt werden können.
2.1.Mensch in der Schöpfung
Gott ist Ursacher und Erhalter der Schöpfung. Er ist absolute Realität, unerschaffen und ewig und nichts ist Ihm gleich. Der Mensch hat von Gott die Fähigkeit erhalten, mittels seiner Vernunft über die gesamte Schöpfung- einschließlich seiner selbst - reflektieren zu können. Gott hat den Menschen zu Seinem "Stellvertreter auf Erden" gemacht (vgl. Sure 2, Vers 30 ). Der Mensch ist erschaffen und vergänglich, nimmt aber in der Schöpfung die höchste Stufe ein und ist auf Richtlinien angewiesen, die ihm ermöglichen, auf Erden harmonisch und sinnvoll zu leben. Gott hat daher den Menschen immer wieder Propheten gesandt, die ihnen Offenbarungen Gottes übermitteln, aus denen Sie lernen können, ihre Aufgabe als Stellvertreter Gottes gerecht zu werden :
"Verheißen hat Allah denen unter euch, die glauben und gue Werke tun, dass Er sie gewißlich zu Nachfolgern auf Erden machen wird, wie Er jene, die vor ihnen waren, zu Nachfolgern machte; und dass Er gewißlich ihren (Stand) nach ihrer Furcht, in Frieden und Sicherheit verwandeln wird : Sie werden Mich vereheren, (und) sie werden Mir nichts zur Seite stellen. Wer aber hiernach undankbar ist, das werden die Empörer sein. Und verrichtet das Gebet und zahlt die Zakat und gehorcht dem Gesandten, auf das ihr Barmherzigkeit empfangen mögt." (Sure 24, Verse 55-56)
Nach islamischer Auffassung war der letzte dieser göttlichen Gesandten Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm ). Jedoch werden alle anderen Gesandten vor ihm anerkannt und im Quran als Beispiele und Modelle rechtschaffener Menschen angeführt. Die erste Offenbarung, die Muhammad (Friede sei mit ihm ) empfing, lautete :
"Lies im Namen Deines Herrn, Der erschaffen hat, den Menschen erschaffen hat aus einem Klumpen Blut. Lies! Denn Dein Herr ist der Allgütige, Der durch die Feder lehrte, den Menschen lehrte, was er nicht wußte." (Sure 96, Verse 1-5 )
Schon in der ersten Offenbarung an Muhammad (Friede sei mit ihm ) weit Gott darauf hin, dass Er der Allgütige ist, der die Menschen lehrt. Er teilt den Menschen auch mit, dass Er eingütiger Schöpfer ist, der das Gute für die Menschen möchte. Daher ist eine Unterwerfung unter Seinen Willen für vernünftige Geschöpfe keine Demütigung, sondern eine Erhöhung.
2.2.Liebe und Gesetz
Die Leitung und Führung, die Gott den Menschen durch Seine Gesandten gebracht hat, ist Ausdruck Seiner Gnade und Liebe. Daß Gott den Menschen zu Seinem Stellvertreter auf Erden gemacht hat, dass Er ihn lehrt und ihm reichlich Unterhalt und Versorgung zuteil werden läßt, das alles zeigt, dass Gott Seine Schöpfung liebt. Gottes Liebe gegenüber der Schöpfung und insbesondere Gottes Liebe zum Menschen manifestiert sich in der Schöpfung und ist für jeden Menschen, der von seiner Vernünft Gebrauch macht , zu erkennen. Einer der 99 schönsten Namen Gottes lautet AL-Wadud, der Liebende :
"Er ist es, Der erschafft und wiederkehren läßt; und Er ist der Allverzeihende, der Liebende, der Herr des Throns, der Hocherhabene, Bewirker alles dessen, was Er will" (Sure 85, Verse 13-16 ).
Da der Mensch der Rechtleitung bedarf, ist es eine Form von Gottes Liebe, wenn Er ihm Gesetze gibt. Viele Menschen haben hier oft mißverständliche Vorstellungen, denn sie denken bei dieser Formulierung unwillkürlich an eine sinnentleerte Kausistik. Der Quran lehrt uns, dass die Gesetze Gottes Richtlinien für das menschliche Handeln sind, deren Einhaltung den Menschen ein friedliches und harmonisches Zusammenleben ermöglicht. Alle Gesetze, die Gott den Menschen gibt, haben einen Sinn und Gott fordert den Menschen auf, diesen Sinn zu verstehen. Der Mensch als Stellvertreter Gottes auf Erden soll wissen, was er tut, und nicht nur mechanisch Befehle ausführen. Hierin liegt die besondere Stellung des Menschen begründet : er soll aus freien Stücken heraus das Gute akzeptieren, weil er verstanden hat, was gut ist!.
2.3.Selbsterkenntnis
Zur Erkenntnis Gottes gehört aber auch Selbsterkenntnis. Der Mensch muß zuallererst sich selbst begreifen, denn nur ein Mensch, der seine Relativität und Leitungsbedürftigkeit erkannt hat, wird sich mit Freuden in den Willen Gottes ergeben. Ein Mensch, der seine Relativität nicht erkannt hat, wird hochmütig sein und keine Autorität anerkennen wollen. Er wird nicht seiner gottgegebenen Vernunft folgen, sondern seinem Ego, welches ihm Trugbilder vorspiegelt und zur Auflehnung gegen Gottes Gebote und letztendlich zur Unglückseligkeit führt.
"Was ihr Gutes habt, es ist von Gott; und wenn euch ein Unheil befällt, dann fleht ihr Ihn um Hilfe an. Doch wenn Er das Unheil dann von euch hinwegnimmt, siehe, da (beginnt) ein Teil von euch, ihrem Herrn Götter zur Seite zu stellen, (so) dass sie verleugnen, was wir ihnen beschert haben" ( Sure 16, Verse 53-54 )
Genau dies ist die Absicht des Islam : Sich Gottes Liebe und Barmherzigkeit immer und überall bewußt zu sein und nur die Dinge zu tun, die Gott dem Menschen erlaubt hat, weil diese zu seinem Besten sind. Natürlich kennt der Islam auch die intensive Verbindung zwischen Gott und dem Menschen, in der der Mensch alles vergißt, was um ihn ist. Das fünfmalige Rituelle Gebet, das der gläubige Muslim jeden Tag verrichtet, ist die intensivste Verbindung zwischen ihm und Gott, in der Seine Nähe am stärksten gespürt werden kann. Jeder Mensch besitzt einen Geist, der ihm mit dem göttlichen Licht verbindet. Je mehr der Mensch lernt, seinen Geist von den Einflüssen seines Egos freizumachen, desto intensiver wird er die göttliche Nähe spüren. Jenseits und diesseits bilden eine Einheit und sind nicht voneinander zu trennen.
"Für die, welche Gutes tun, ist Gutes in dieser Welt, und die Wohnstatt des Jenseits ist noch besser. Herrlich fürwahr ist die Wohnstatt der Rechtschaffenen : Gärten der Ewigkeit, die sie betreten werden; Ströme durchfließen sie. Darin werden sie begehren. Also belohnt Allah die Rechtschaffenen." (Sure 16, Vers 30-31 )
Der Mensch soll nicht auf Erden leiden, damit er im Paradies Freuden empfinden darf. Gott eine solche Absicht zu unterstellen, wäre unvernünftig und nicht mit Seiner Größe, Weisheit, Gnade, Gerechtigkeit und Liebe vereinbar.
2.4. Befreiung
Gott möchte, dass die Menschen ihr Ego so erziehen, dass sie sich dem Paradies als würdig erweisen. Er möchte, dass sie nicht ihren niederen Gelüsten folgen, sondern ihre Vernunft gebrauchen und sich Gott anzunähern versuchen. Vor allen Dingen aber sollen sie sich von allen Abhängigkeiten außer der Abhängigkeit Gott gegenüber befreien und nur Gott alleine dienen. Diese Abhängigkeiten des Menschen können durchaus unterschiedlicher Natur sein. Es können sowohl Abhängigkeiten auf politischer Ebene oder aber auf persönlicher, individueller Ebene sein, indem man sich beispielsweise materialistischen Konsumzwängen - gleich welcher Art - unterwirft.
Jegliche Form von Abhängigkeit, die das menschliche Ego verleitet, sich von Gott abzuwenden, stellt eine Gefahr für den Menschen dar. Die Erziehung des Ego ist daher die vorrangigste Aufgabe des Menschen. Wenn ein Mensch sich ehrlich bemüht, diese Aufgabe zu bewältigen, wird Gott ihm dabei helfen. Das Leben wird zu einer ständigen Begegnung mit Gott :
"Gedenket Meiner, und Ich will eurer gedenken; und danket Mir und seid nicht undankbar gegen Mich!" ( Sure 2, Vers 152 )
Gott verspricht dem Menschen, dass Er ihm nahe sein wird, wenn er sich gottergeben verhält und vom schlechten und verbotenen abläßt. Wenn der Mensch sich entschlossen hat, auf Gott zuzugehen, dann kommt Gott ihm entgegen und hilft ihm bei seinen Schwierigkeiten:
"Und wenn Meine Diener dich nach Mir fragen : Ich bin nahe. Ich antworte dem Gebet des Bittenden, wenn er zu Mir betet. So sollen sie auf Mich hören und an Mich glauben, auf das sie den rechten Weg gehen mögen." ( Sure 2, Vers 186 ).
Dies soll jedoch keineswegs zur Passivität verleiten. Wenn das Leben eine ständige Begegnung Gottes mit dem Menschen sein soll, bedeutet dies, dass der Mensch selbst auch etwas leisten muß, um seine Saufgabe erfüllen zu können. Er darf nicht davon ausgehen, dass sein Glaube, sein Vertrauen und seine Hoffnung auf Gott ihn seiner Verantwortung entheben würde. Er soll vielmehr seine Aufgaben mit göttlicher Hilfe wahrnehmen und bewältigen.
Das Verhältnis Diener - Herr, wie es zwischen dem Menschen und Gott besteht, ist nicht von despotischer Natur. Der Mensch ist Knecht, weil ihm aufgrund seiner Relativität als geschaffenes Wesen gar nichts anderes übrigbleibt, denn er ist in seinen Möglichkeiten begrenzt. Gott aber ist der Liebende und Barmherzige Herr, der den Menschen leitet und führt, um ihn zu erhöhen. Es ist die Knechtschaft Gott gegenüber, die den Menschen erhöht, denn sie befreit ihn von allen anderen Abhängigkeiten.
Unser Welt von heute wird beherrscht von Strukturen wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung, die die Privilegien einiger weniger zu Lasten der Massen festschreiben wollen. Solange ethische Werte nicht in die Politik zurückfinden, wird es keine Hoffnung auf einen Weltfrieden geben.
Religion wird heute von vielen Menschen als Bedrohung empfunden, gerade dann, wenn sie auf politischer Ebene in Erscheinung tritt. Im Islam spielt die Politik eine entscheidende Rolle. So gilt es im Folgenden, der Frage nachzugehen, ob nicht schon Religion in ihrem Ansatz Politik beinhaltet, ja ob Politik und Religion als Einheit zu sehen sind.
3.1. Keine Gottheit außer Gott
Im Islam ist die Welt nur einer Macht unterstellt. Der Mensch sieht sich, seine Gesellschaft und seine Umwelt als Teil einer allumfassenden zielgerichteten Ordnung, die von einer Kraft durchströmt wird, die alles geschaffen hat und aufrechterhält.
Die Weltanschauung der Einheit hat zwei Aspekte : einen verneinenden und einen bejahenden. Zunächst werden alle Götzen, die Anstelle Gottes verehrt werden - Idole, Geld, Macht, Position usw. - verworfen; dann folgt die Bejahung, daß alles außer Gott vergänglich und nichtig ist. Niemandem soll sich der Mensch unterwerfen, keinem Zwang ausliefern und nur Gott gehorchen.
3.2.
Kampf gegen Ungerechtigkeit In der Geschichte hat es Bewegungen gegeben, die eine gerechte Ordnung anstrebten : -
Erzieherische Bewegungen, die den Menschen aufzeigen, was gut und böse ist. Sie erschöpfen sich aber in der Beschreibung menschlicher Ideale. Wenngleich sie ein Idealbild der Gesellschaft entwerfen, sind sie letztendlich nicht in der Lage, diese Ideal umzusetzen. - Reformistische Bewegungen, die ihre Ziele klar umreißen und sich für deren Verwirklichung einsetzen.
Dabei berühren sie aber nicht die bestehenden Ordnungen. Um ihren Fortbestand sicherzustellen, gehen sie schließlich Kompromisse ein und neigen längerfristig dazu, ihre Ziele aus den Augen zu verlieren.-Revolutionäre Bewegungen, die sich dem herrschenden System mit einem klaren Programm und einer klaren ideologischen Grundlage widersetzten. In ihrem Kampf gegen die ungerechten Ordnungen scheuen sie keine Opfer, ihr Ideal einer gerechten Gesellschaft zu verwirklichen.
Die Bewegungen aller Propheten sind revolutionär: zwar verfolgen sie erzieherische und reformerische Ziele, gehen aber darüber hinaus und treten ein für die Beseitigung ungerechter Strukturen : anstelle korrupter Systeme soll eine menschliche Ordnung errichtet werden.
Immer dann, wenn die Ungerechtigkeit ihr Maximum erreicht, treten die Propheten in Erscheinung. Sie öffnen den Menschen die Augen, geben ihnen ein neues Bewußtsein und befreien sie von falschen Vorstellungen. Ihr Ziel ist die Gründung einer neuen, gerechten Gesellschaft. Dafür sind sie bereit, zu kämpfen :
*Und was ist mit euch, daß ihr nicht kämpft für die Sache Gottes und für die unterdrückten Männer, Frauen und Kinder, die sprechen : Unser Herr, führe uns heraus aus dieser Stadt, deren Bewohner Unterdrücker sind, und gib uns von Dir einen Helfer.* (Sure 4, Vers 75 )
Die größten Gegner der Propheten sind die ungerechten Herrscher gewesen. Gott schickte jedem Volk einen Propheten mit dem Auftrag, die Übertreter zu warnen :
*Wir haben für jedes Volk einen Gesandten erscheinen lassen (mit der Botschaft) : dienet Gott allein und beseitigt die Tyrannen.* ( Sure 16, Vers 36 ).
Die Propheten lehren nicht, sich Gott nur innerlich hinzugeben, sich nach außen aber anderen Menschen und Zwängen zu unterwerfen. Wären sie dann wirklich verfolgt worden, wenn sie nur einen inneren Weg gepredigt hätten ?. Hätte Nimrud den Propheten Abraham dann ins Feuer werfen lassen oder allgewaltige Pharao den Propheten Moses bekämpft ?.
Hätten die Römer die Hinrichtung Jesu geplant und Nero die ersten Christen ermordet ?. Die Propheten haben nämlich nicht nur den Weg der "Erleuchtung des Herzens" gepredigt, sie sind ebenso aktiv für die soziale Gerechtigkeit eingetreten. Sie riefen die Menschen zur Dienerschaft des einen Gottes auf und befreiten sie von den Fesseln des falschen Gehorsams.
3.3. Politik im Qur'an
Es mag verwundern, wenn wir den Begriff Politik (arabisch : Siyasa ) im Qur'an vergeblich suchen. Heißt das aber, dass der Islam nichts mit Politik zu tun hat ?. Ein Überblick über das quranische Begriffssystem zeigt, wie sehr hier Glaube und Politik verbunden sind.
So finden wir im Qur'an unter anderem die Begriffe Regierung (Hukm), Partei (Hizb), Führer(Imam), Gemeinschaft (Umma), Autoritäten (Ulu-l-amr ), Verantwortung (masula), Recht (haqq), Pflicht (Taklif) usw.
Politik wird im Islam als sinnvolle Regelung der Angelegenheiten der Gemeinschaft verstanden : die Angelegenheiten des Individuums, seine Beziehung zu anderen Menschen, das Verhältnis zwischen Volk und Regierung und zwischen der islamischen und anderen Gesellschaften sollen im Geiste des Glaubens geregelt werden. Das Ziel des Islam ist die Vervollkommnung des Menschen.
Diese Hinführung zu Gott kann aber nur in einem Gesellschaftlichen Rahmen stattfinden, der die Ausübung der "Hingabe an den einen Gott" ermöglicht. Die Gesellschaftsordnung soll mit den natürlichen Anlagen des Menschen in Einklang stehen.
Politik wird hier nicht im Sinne eines machtpolitischen Taktierens oder der Anwendung von Gewalt verstanden. Politik soll die Verwirklichung des göttlichen Gesetzes garantieren und Harmonie unter den Menschen schaffen.
Die politische Ordnung in einem islamischen Staat wird von einer übergeordneten Wahrheit geprägt. Es handelt sich nicht um eine Ordnung, die die "Wahrheit" formuliert, wie sie sie versteht. Die eigentliche Herrschaft über die Welt wird von ihrem Schöpfer und Erhalter ausgeübt.
Die Menschen tragen die Verantwortung, mit der Welt in Seinem Sinne umzugehen. Sie sind Teil einer allumfassenden Ordnung, in der Religion - jener Weg zu Gott und zur Vervollkommnung des Menschen- und Politik - die harmonisierende Regelung der gesellschaftlichen Angelegenheiten - eine untrennbare Einheit bilden.
Nur wenn die Religion Gottes wieder Einzug in die Politik findet, werden die Menschen gemeinsam die immer bedrohlichere Weltsituation meistern können.